Der Bundestag hat gestern Abend die EU-Richtlinie über unlautere Handelspraktiken in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette in deutsche Gesetzgebung umgesetzt. Das beschlossene Gesetz ist ein wichtiger erster Schritt, um unfaire Praktiken von marktmächtigen Unternehmen in globalen Lieferketten zu unterbinden. Doch es weist Schutzlücken auf und verbietet zudem kein Preis-dumping, weshalb es nur unzureichend zu einer gerechteren Verteilung der Wertschöpfung im Lebensmittelhandel beitragen wird.
Warum wir ein Verbot von unfairen Handelspraktiken brauchen: Machtmissbrauch…
Mit dem sogenannten "Gesetz zur Stärkung der Organisationen und Lieferketten im Agrarbereich" setzt Deutschland eine EU-Richtlinie zum Verbot von unlauteren Handelspraktiken um. Mit der Richtlinie sollen Mindestschutzstandards für Lieferanten in Agrar- und Lebensmittelversorgungsket-ten festgelegt werden. Dies ist dringend notwendig, denn zwischen den Akteur*innen in der Liefer-kette besteht ein großes Macht- und Verhandlungsungleichgewicht: In Deutschland kontrollieren vier Einzelhandelsunternehmen 85 Prozent des Lebensmittelmarktes. Sie zwingen ihren Lieferanten Vertragskonditionen häufig auf, ohne dass diese sich dagegen zur Wehr setzen können. So wälzen sie Kosten, die sie eigentlich selbst tragen müssten, auf ihre Zulieferer ab. Diese sind gezwungen, unfairen Lieferbedingungen zuzustimmen, da sie davon abhängig sind, dass ihre Produkte bei den großen Händlern ins Verkaufssortiment aufgenommen und nicht ausgelistet werden.
… und Preisdumping
Neben derart unfairen Vertragsbedingungen bestimmt auch Preisdumping die Lieferbeziehungen. In einer Umfrage der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gaben knapp die Hälfte der befrag-ten Zulieferer an, Aufträge unterhalb der Produktionskosten anzunehmen, da der Preis eines der wichtigsten Kriterien für die Abnahme und somit der Preisdruck enorm hoch sei. Der Bananensek-tor zeigt, dass es gesetzliche Lösungen gegen Preisdumping braucht: Im November 2020 kündigte ALDI an, die Bananenpreise um ca. 9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 11,33 EUR pro Kiste zu reduzieren. Dabei ist bereits zwischen 2013 und 2018 der EU-Einfuhrpreis für eine Kiste Bananen um etwa 20 % gefallen, während die Produktionskosten insbesondere auch im Zuge der Corona-Pandemie immer weiter gestiegen sind. Diese ruinösen Preise haben u.a. Hungerlöhne und schlech-te Arbeitsbedingungen für Arbeiter*innen auf den Plantagen zur Folge. Dieses Preisdumping be-trieb ALDI, obwohl das Unternehmen zusammen mit zahlreichen anderen deutschen Einzelhan-delsunternehmen noch im Januar 2020 eine Absichtserklärung unterzeichnet hatte, sich entlang seiner globalen Lieferketten für existenzsichernde Einkommen und Löhne einzusetzen.
Was das Gesetz leistet: Verbot einiger unfairer Handelspraktiken …
Mit dem beschlossenen Gesetz verbietet Deutschland nun einige der gravierendsten unlauteren Handelspraktiken entlang globaler Lieferketten im Agrar- und Lebensmittelhandel. Dabei geht Deutschland erfreulicherweise über die Vorgaben der EU hinaus. Neben der Mindestliste von Verboten in der EU-Regulierung, enthält das deutsche Gesetz drei weitere Verbote: Händlern wird verboten, nicht verkaufte Ware ohne Bezahlung zurückzuschicken; Lagerkosten des Käufers dürfen nicht mehr auf den Lieferanten abgewälzt werden; Gebühren für die Listung sind zukünftig nicht mehr erlaubt, wenn ein Produkt bei dem Händler bereits gelistet ist.
… und eine unabhängige Ombuds- und Preisbeobachtungsstelle
Erfreulich ist zudem, dass der Bundestag sich für die Einrichtung einer unabhängigen, weisungsun-gebunden Ombuds- und Preisbeobachtungsstelle ausgesprochen hat. Kleinbäuer*innen und Arbei-ter*innen hierzulande sowie aus dem Globalen Süden können damit anonym jedwede unfaire Handelspraktiken – also auch jene, welche nicht im Gesetz verboten sind – sowie unfaire Preise melden. Die Stelle soll zudem Produktionskosten und Preisentwicklung beobachten. Die Erkenntnisse der Ombudsstelle über neue, bisher nicht im Gesetz verbotene Handelspraktiken sollen regelmäßig in die Eva-luierung und ggf. Überarbeitung des Gesetzes einfließen. Die erste Evaluierung soll zwei Jahre nach Inkraft-treten des Gesetzes stattfindet.
Die Ombusstelle und die Möglichkeit zur Beschwerde auch für Lieferanten aus dem Globalen Süden ist auch ein Erfolg der Fair-Handels-Bewegung. Diese hatte sich zusammen mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren auch bereits auf EU-Ebene dafür eingesetzt, dass nicht nur Lieferanten aus der EU, sondern auch aus nicht EU-Ländern bei den Regelungen berücksichtigt werden.
Gesetz gegen unlautere Handelspraktiken weist Lücken auf
Doch Bundesregierung und Bundestag hätten mit dem Gesetz sehr viel weiter gehen können und müssen. Das Gesetz weist erhebliche Schutzlücken auf und wird deshalb nur sehr unzureichend zu einer gerechteren Verteilung der Wertschöpfung in Agrar- und Lebensmittelversorgungsketten beitragen. Insbesondere fehlt in dem Gesetz:
- Eine Generalklausel: Das Gesetz hätte eine Generalklausel beinhalten müssen, die grund-sätzlich alle unlauteren Handelspraktiken verbietet. Mit ihrer ausschließlichen Auflistung von Verboten bietet das Gesetz Möglichkeiten für Schlupflöcher. Denn für Supermarktket-ten wird es ein Leichtes sein, Verbote durch neue unfaire Handelspraktiken zu umgehen. Zwar können Lieferanten auch unfaire Handelspraktiken bei der Ombudsstelle melden, die in dem Gesetz derzeit nicht verboten sind. Jedoch ist damit nicht gesagt, dass diese nach der Meldung auch tatsächlich verboten werden. Zudem würde ein neues Verbot Zeit kosten, welche Zulieferer in Existenznot möglicherweise nicht haben.
- Ein Verbot von Dumpingpreisen: Um dem verheerenden Preisdumping einen Riegel vorzu-schieben, hätte das Gesetz den Einkauf von Lebensmitteln unterhalb ihrer Produktionskos-ten (Dumpingpreise) als unfaire Handelspraktiken verbieten müssen. Produzent*innen am Anfang und nicht marktmächtige Einkäufer am Ende der Lieferkette müssen die Preisbil-dung bestimmen. Nur so erhalten die Erzeuger*innen die Möglichkeit, existenzsichernde Einkommen zu erzielen. Zumindest hat der Bundestag eine Prüfung eines Verbots des Einkaufs von Lebensmitteln unterhalb ihrer Produktionskosten beschlossen. Diese soll bei der Evaluierung des Gesetzes "berücksichtigt" werden.
Eine wirksame Umsetzung des Gesetzes ist jetzt wichtig
Die Bundesregierung muss das Gesetz nun wirksam und mit ausreichend Kapazitäten umsetzen. Die neue Ombuds- und Preisbeobachtungsstelle benötigt ausreichend personelle Kapazitäten, um ihren Aufgaben wirksam nachzukommen. Insbesondere braucht es jetzt:
- schnellstmöglich ein Verbot von Dumpingpreisen: Die neue Bundesregierung muss die Prü-fung für ein Verbot von Dumpingpreisen zügig durchführen. Das Verbot sollte zudem schnellstmöglich umgesetzt werden. Hierfür muss nicht zwingend auf die Evaluierung des Ge-setzes gewartet werden. Das Verbot muss vorsehen, dass soziale und ökologische Kosten eingepreist werden und die Preise den Erzeuger*innen und ihren Familien ein existenzsi-cherndes Einkommen ermöglichen.
- die Aufklärung von Lieferanten über ihre Rechte: Damit das Gesetz Wirkung zeigt, müssen Lieferanten, insbesondere auch aus dem Globalen Süden, über das Gesetz und ihre darin enthaltenen Rechte aufgeklärt werden. Bisher ist das Gesetz weitestgehend unbekannt. Doch nur wenn alle Akteure in Agrar- und Lebensmittelversorgungsketten über die neuen Verbote und die Oumbudsstelle informiert werden, können sie die Möglichkeit zur Beschwerde gegen unlautere Handelspraktiken und unfaire Preise wahrnehmen.
Mehr Informationen
- Brot für die Welt, Forum Fairer Handel, Gepa – The Fair Trade Company: Briefing: Umsetzung der UTP-Richtlinie: Eine Chance für existenzsichernde Einkommen und Löhne in globalen Lieferketten Download
- Positionspapier von 50 Organisationen zur Umsetzung der EU-Richtline (2020): Für mehr Fairness im Lebensmitteleinzelhandel Download
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